Lebenslauf

Uwe Rüth:

Werner Graeff - sein Leben

Kurz nach der Jahrhundertwende, am 24. August 1901, wird Werner Graeff in Wuppertal-Sonnborn geboren. Seine Jugend fällt also in eine Zeit, die gezeichnet ist vom Ersten Weltkrieg; jedoch ist er zu jung, um selbst an dem fürchterlichen Krieg aktiv teilnehmen zu müssen, allerdings fallen zwei seiner Brüder. Er besucht die Schule in Bonn, Solingen, Charlottenburg, Oranienburg und Berlin-Tegel (wo er 1920 sein Abitur ablegt), ist ein eifriges Mitglied der Wandervogelbewegung und malt während seiner Schulzeit stark impressionistische Bilder. Sein einsetzendes künstlerisches Schaffen zeigt noch die Suche nach der eigenständigen Richtung. Die ersten malerischen Versuche werden um 1919 abgelöst durch kubistisch vereinfachte Landschaftsbilder, Holzplastiken sowie Holzschnitte.

1921 beginnt die eigentliche künstlerische Ausbildung am Bauhaus in Weimar, wo er Schüler von Johannes Itten und Oskar Schlemmer ist. Parallel zu seinen Bewegungsstudien in Ittens Vorkurs (2 dieser Studien befinden sich heute noch im Bauhaus-Archiv, Berlin), entstehen schon die ersten konstruktivistischen Zeichnungen. Zweifellos zeigt sich hier der Einfluß des de-Stijl-Künstlers Theo van Doesburg, der in diesem Jahr ebenfalls in Weimar Kurse und Vorträge hält, die Graeff eifrig besucht. Er wird 1921 auf Grund der Bekanntschaft mit van Doesburg Mitglied der de Stijl-Gruppe und schreibt seine erste Veröffentlichung "Für das Neue" in deren gleichnamiger Zeitschrift.

1922 ist ein fruchtbares und aufregendes Jahr für den jungen Künstler. Er nimmt ebenso an dem "Ersten Internationalen Kongreß fortschrittlicher Künstler" in Düsseldorf, der mit einem Eklat endet, teil, wie am "Kongreß der Konstruktivisten und Dadaisten" in Weimar. Seine konstruktivistischen Zeichnungen im de Stijl-Stil stellt er in der "Novembergruppe" in Berlin aus. Gleichzeitig aber - und typisch für die Gedanken um Doesburg und Mondrian - weitet er seine kreativen Ideen auf das alltägliche Leben aus: Er entwirft Auto- und Motorradkarosserien, eine internationale Verkehrssprache und arbeitet an ersten Partituren zu abstrakten Filmen. Es beginnt eine Freundschaft zu Mies van der Rohe und er wird schließlich Mitarbeiter des Filmemachers Hans Richter. Beides führt schließlich zur Gründung der Zeitschrift "G" (Gestaltung), deren Herausgeber Hans Richter ist; die Redaktion bilden Graeff, Lissitzky, Mies van der Rohe und Richter. Weitere Ausstellungen in Berlin und Bremen folgen.



Kongress der Konstruktivisten und Dadaisten, Weimar 1922

Obere Reihe von links: Max und Lotte Burchartz, Peter Röhl, Vogel, Lucia und Laszlo Moholy-Nagy, Alfred Kemeny
Mittlere Reihe von links: Alexa Röhl, El Lissitzky, Nelly und Theo van Doesburg, Sturtzkopf
Untere Reihe von links: Werner Graeff, Nini Smit, Harry Scheibe, Cornelis van Eesteren, Hans Richter, Tristan Tzara, Hans Arp


Graeff, der immer schon praktischem Design und technischen Dingen nahegestanden hat, beginnt 1924/25 mit Studien an der Technischen Hochschule Charlottenburg und absolviert sein Praktikum bei einer Rohrleitungsfirma. Aber schon 1925 muß er sein Studium abbrechen, da seine Familie in wirtschaftliche Not gerät. Kurz entschlossen gründet er eine eigene Autofahrschule und leitet sie selbst bis 1926. Er wird Mitglied des Deutschen Werkbundes und nimmt an der Ausstellung der Stijl-Gruppe in Paris teil (1925). 1926 gewinnt ihn sein Freund Mies van der Rohe als Presse- und Propagandachef für die legendäre Ausstellung "Die Wohnung" in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung. Hier beweist der junge Künstler seine journalistischen Fähigkeiten. Die Ausstellung mit den heute berühmtesten modernen Architekten Europas (1927 - Mies, Le Corbusier, Walter Gropius, Peter Behrens u.v.a.) bringt auch zwei Buchpublikationen für Graeff: "Bau und Wohnung" und "Innenräume", die er im Auftrag des Deutschen Werkbundes veröffentlicht (1928). Schon 1927 hat er das erste Buch über seinen Künstlerfreund Willy Baumeister geschrieben.

In diese Zeit fällt die Aufgabe seines eigenen künstlerischen Schaffens. Er widmet sich vollends den unterschiedlichsten Tätigkeiten: Er bereitet die Werkbundausstellung "Film und Foto" vor (1979 wurde sie rekonstruiert und als Wanderausstellung gezeigt). Er schreibt für Hans Richter und Paul Hindemith ein Filmmanuskript mit dem Titel "Die Rebellion der Handfeuerwaffen" (1928).
In stark veränderter Form entstand daraus Richters "Vormittagsspuk" (Deutschland 1927/28), und auch das Manuskript zu Richters Film "Alles dreht sich, alles bewegt sich" (Deutschland 1929) stammt von Werner Graeff (1929). Zur Eröffnung der Ausstellung "Film und Foto" in Stuttgart 1929 erscheint das Buch "Es kommt der neue Fotograf!", das innerhalb kürzester Zeit zu einem Riesenerfolg wird (Dieses Buch wurde 1979 neu aufgelegt). Sein guter Ruf auf dem Gebiet des Films bringt ihn im gleichen Jahr in den Vorstand der "Liga für unabhängigen Film".

Der Film und die Fotografie bleiben weiterhin seine Hauptbetätigungsfelder: Ab 1930 veröffentlicht er populär gestaltete Lehrbücher über die unterschiedlichsten technischen Probleme, die deswegen bemerkenswert sind, weil sie zum ersten Mal eine unmittelbare Verknüpfung von Wort und Bild zeigen. Die Gesamtauflage dieser Bücher beläuft sich auf eine halbe Million Exemplare. 1931/32 ist er als Lehrer für Fotografie an der Reimann-Schule in Berlin, verselbständigt sich dann aber in der eigenen "Berliner Fotoschule". Schon 1934 emigriert er vor der "Hitlerei" - wie er es selbst auszudrücken pflegte - und geht bis 1936 nach Spanien. Dort unterrichtet er in der Fotografie und entwirft für die spanische Filmindustrie Filmarchitekturen. Als auch hier 1936 der Faschismus siegt, flüchtet er in die Schweiz. Im Tessin widmet er sich bis 1938 der Schriftstellerei: Er entwirft verschiedene Filmmanuskripte und schreibt Kurzgeschichten. 1939 und 1940 arbeitet er intensiv an seinem 1942 in Basel veröffentlichten zweiten Fotobuch "Kamera und Auge". 1940 erhält er dann in Locarno eine feste Anstellung durch den Schweizer Staat als Leiter der dortigen Fotoschule. Hier wurden im wesentlichen Umschulungskurse für Emigranten und Flüchtlinge abgehalten. Von 1946-1949 betätigt er sich vor allem als Erfinder auf dem fotografischen Sektor. So entwickelt er in diesen Jahren eine der ersten Minikameras der Welt..



Werner Graeff in seinem Essener Atelier, 1966


Im Jahre 1950, nach ca. 25 Jahren, nimmt Graeff die freie künstlerische Arbeit - ermutigt und bestärkt durch seinen Freund Willy Baumeister - mit der Malerei wieder auf. Er wird für die Organisation einer Ausstellung über die Kohleförderung (Montan-Union) in Paris durch den Marshall-Plan gewonnen. Erst 1951 kehrt er wieder nach Deutschland zurück und ist bis 1959 Lehrer an der Folkwang-Schule in Essen. Seine künstlerische Arbeit ist nun sehr fruchtbar und - seinem Wesen entsprechend - weit gespannt: Grafiken, Gemälde, Skulpturen, Wandgemälde, Glasfenster, Mosaiken entstehen. Sein Programm "Über die farbige Gestaltung des Ruhrgebiets" 1952 bringt Aufsehen: Zum ersten Mal ist der Gedanke geboren, das Ruhrgebiet durch künstlerische Eingriffe humaner und wohnlicher zu machen.

1954 bekommt er im British Centre in Köln seine erste Einzelausstellung. 1957 und 1958 wird er zum Generalsekretär des Internationalen Kongresses für Formgebung in Darmstadt und Berlin gewählt. Ab 1960 widmet er sich ganz als freischaffender Künstler seinen eigenen Arbeiten, zieht 1970 von Essen nach Mülheim an der Ruhr, wo er auf einem Bauernhof Wohnung und Atelier einrichtet.

Am 29. August 1978 stirbt er überraschend in Blacksburg/Virginia.

aus: "Werner Graeff - Ein Pionier der Zwanziger Jahre", Marl 1980


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